Umbrella-Review aus Großbritannien
Konservativ vor operativ?!
Sechs der zehn häufigsten orthopädischen Standardeingriffe zeigen keine Überlegenheit zur
nichtoperativen Versorgung
Es kommt nicht selten vor, dass PatientInnen die TherapeutInnen fragen, was sie in
ihrem Fall von einer OP hielten. Eine Patientin mit frischer Kreuzbandruptur fragt, ob die von zwei Chirurgen empfohlene arthroskopische Rekonstruktion eine gute Wahl sei. Ein Patient mit starker
Kniearthrose, möchte eine Einschätzung zu einer Knie-TEP. Doch was soll man auf diese Fragen antworten?
Eine aktuelle
Übersichtsarbeit von Forschern der Universität Bristol ergab, dass sich nur zwei der zehn häufigsten orthopädisch-operativen Eingriffe auf Empfehlungen mit ausreichend starker Evidenz
stützen. Aber auch in diesen Fällen, sollte die OP erst nach vorheriger erfolgloser konservativer Therapie erfolgen.
Im Einzelnen bedeutet das
- Rekonstruktion des vorderen
Kreuzbandes
Für die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes existiert eine Fülle an qualitativ hochwertiger Arbeiten. Diese belegen jedoch keinerlei Vorteile der Behandlungsoption "Operation" – weder bezogen auf
Schmerz noch auf verschiedene andere Scores zur Bewertung der Kniefunktion (z.B. KOOS, IKDC oder Lysholm Score). Auch für die oft angeführte höhere Rate von Kniearthrose gibt es bisher keine Hinweise.
- Meniskusrekonstruktion nach traumatischem
Riss
Zur Meniskusrekonstruktion nach traumatischem Riss liegt nur ein einzige hochwertige randomisierte kontrollierte Studie (RCT) vor. Diese deutet auf bessere Ergebnisse durch eine OP gegenüber einer konservativen Behandlung hin.
- Meniskusteilresektion bei degenerativem
Riss
Keine der sechs eingeschlossenen Übersichtsarbeiten zur Meniskusteilresektion bei degenerativem Riss zeigte einen klinisch relevanten Vorteil in punkto Schmerz oder Funktion.
- Reparatur einer akuten
Rotatorenmanschettenruptur
Zwei einzelne RCTs und ein Cochrane-Review erbrachten keinen Beleg für den Nutzen dieses Eingriffs im Hinblick auf Schmerz, Funktion und Lebensqualität – verglichen mit alleiniger
Physiotherapie.
- Arthroskopische subakromiale
Dekompression
Auch zur arthroskopischen subakromialen Dekompression liegen mehrere Übersichtsarbeiten vor. In keiner dieser Arbeiten konnten patientenrelevante Veränderungen im Vergleich zu einer Placebo-OP,
konservativer oder gar keiner Behandlung dargestellt werden.
- Karpaltunnelsyndrom
Vorliegende Daten zum Karpaltunnelsyndrom weisen auf bessere Ergebnisse durch einen operativen Eingriff hin. Allerdings sind Komplikationen nicht selten.
- Dekompression einer Spinalkanalstenose der
LWS
Im Vergleich operative zu nichtoperativen Maßnahmen ergaben drei Metaanalysen keine Unterschiede zwischen beiden Interventionen.
- Operative
Lendenwirbelfusion
Die reichhaltige qualitative Evidenz zur op. Lendenwirbelfusion schlussfolgert keinen Vorteil im Oswestry Disability Index (ODI) gegenüber einer konservativen Behandlung. Zwei RCTs liefern Belegen, dass kognitive
Interventionen und Bewegungstherapie gleich gute Erfolgsquoten aufweisen.
- Hüft-TEP
Unter den 168 abgerufenen Artikeln fand sich kein einziges qualitativ hochwertiges RCT, sondern ausschließlich Übersichtsarbeiten, die eine Implantation einer Hüft-TEP gegenüber einer konservativen
Behandlung untersuchen. Die Ergebnisse dieser Arbeiten waren nicht eindeutig.
- Knie-TEP
Ein vorliegendes RCT verglich OP plus konservative Nachsorge mit alleiniger konservativer Versorgung. Hierbei zeigte sich ein Jahr nach Beginn ein deutlich geringeres Schmerzniveau und bessere
funktionelle Werte durch den chirurgischen Eingriff.
Fazit
Als Fazit führen die Autoren an, dass Operationen immer ein erhöhtes Risiko darstellen und Operateure und Patienten sorgfältig alle Faktoren abwägen sollten. Vor allem wenn hochwertige
wissenschaftliche Arbeiten den konservativen Behandlungen eine gleichwertige Effektivität attestieren.
Quelle: Martin Römhild / physio.de