Beschleunigte Rehabilitation ohne erhöhtes Risiko
Nach der chirurgischen Versorgung einer Sprunggelenksfraktur führt eine frühere Belastung zubesseren Funktionsergebnissen ohne erhöhtes Risiko.
Die Teilbelastung über sechs oder mehr Wochen stellt das übliche Vorgehen bei derNachbehandlung von operativ versorgten Sprunggelenksfrakturen dar. Es wird postuliert, dass eine zu frühe Belastung zu
einer Störung der Knochenheilung führen kann.
Auch der„Arbeitskreis Nachbehandlungsempfehlungen“ der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie undUnfallchirurgie (DGOU) gibt in seiner Handreichung aus dem Jahr 2023 auf Seite 130 dieTeilbelastung als Standard an.
Diese Angaben weisen eine Gemeinsamkeit auf, nämlich das Fehlen jeglicher Quellenangabe, auf die sich berufen wird.
Gleichzeitig ist der Tenor im mehr als halbseitigen Absatz (Seite 11) in der zugehörigen Leitlinie ausdem Jahr 2020 ein anderer.
Hier heißt es:
Frühe postoperative Belastung und Mobilisierung führen nicht zu:
• schlechteren Resultaten und
• weniger Schmerzen oder besserer Beweglichkeit nach 3 Monaten.
Aber zu:
• besseren subjektiven Resultaten (Schmerz, Bewegung, ...),
• gleichen objektiven (Schwellung, Kraft, ROM) Resultaten,
• einer höheren Anzahl symmetrischer Gangmuster und
• einer früheren Arbeitsaufnahme.
Zu allen genannten Punkten werden entsprechende Quellen angegeben. Allerdings finden sich auch hier keine Verweise zu Komplikationsraten. Diese werden nur bei
Vergleichen der unterschiedlichen Orthesen/Schienen aufgeführt.
Im Jahr 2021 wurde eine systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse veröffentlicht die sich der Frage widmete, ob es Unterschiede in der Risikowahrscheinlichkeit
zwischen früher und verzögerter Belastung und Mobilisation gibt.
Die AutorInnen kommen zu dem Schluss, dass „anhand der aktuellen Datenlage“ keine Hinweise dafür bestünden, dass die Komplikationsrate durch frühzeitiges (2 Wochen post-OP) Belasten erhöht würde. Gleichzeitig weisen sie jedoch auf die methodischen Mängel und die geringe Anzahl an Studien hin.
Closing the Gap
Um diese Lücke zu schließen, wurde eine groß angelegte, randomisiert kontrollierte Studie mit 561Probandinnen und Probanden durchgeführt und im renommierten Journal THE
LANCETveröffentlicht.
Die beiden gegenübergestellten Nachbehandlungsschemata wurden in einem Studienprotokoll genau beschrieben.
Kurzum wurde die Gruppe mit beschleunigter Rehabilitation angewiesen, ihr betroffenes Bein ab der dritten Woche so zu belasten, wie es tolerierbar war (schmerzadaptierte Vollbelastung). Die Kontrollgruppe sollte ihre Stützen über sechs Wochen kontinuierlich verwenden und nicht belasten.
Um potenzielle Einflussfaktoren, die eine schlechtere Heilung bedingen könnten, auszuschließen, wurde bei der Randomisierung darauf geachtet, dass die Gruppen homogen
waren. Zu diesen Punkten gehören beispielsweise das Alter, der Konsum von Alkohol und/oder Zigaretten sowie die Ausprägung der Fraktur und Nebenerkrankungen.
Ergebnisse
Die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen war in beiden Gruppen (statistisch) identisch. Dies galt sowohl für leichte Probleme wie Wundheilungsverzögerungen bis hin zur Notwendigkeit von weiteren,
ungeplanten Operationen.
Besonders auffällig war allerdings, dass vier PatientInnen (1,7Prozent) in der restriktiven Gruppe ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS – früherMorbus Sudeck) entwickelten. Bei beschleunigter Belastungsaufnahme kam es in keinem Fall zudieser Entgleisung.
Auch wenn die Ergebnisse zu Funktionsfähigkeit, Schmerz und Lebensqualität nach 12 Wochen in beiden Gruppen nahezu gleich waren, unterschieden sich diese Endpunkte nach
sechs Wochensehr stark. Dies spiegelt sich vor allem in der Kosteneffizienz wider. Die Behandlungskosten waren durchschnittlich 105 Euro geringer, wenn die PatientInnen schmerzadaptiert belasten
durften. Dies entsprach etwa zehn Prozent der durchschnittlichen Kosten für die medizinische Versorgung. Durch die kürzere Krankschreibungszeit wurden zusätzlich rund 900 Euro anSozialleistungen
(beispielsweise Krankengeld) eingespart.
Eine weitere Erkenntnis, die aus den Daten gewonnen werden konnte, war die schlechte Adhärenz beim Teilbelastungsregime. Knapp ein Drittel aller PatientInnen hielt sich
nicht an die Vorgaben. Sie begannen eigenen Angaben zufolge durchschnittlich bereits nach drei Wochen wieder zu belasten. Also nur eine Woche später als die Interventionsgruppe.
Fazit
Die vorliegende Studie bestätigt die bisherigen Ergebnisse, dass eine schmerzadaptierte Belastung eine adäquate Strategie zur Nachbehandlung von chirurgisch versorgten Sprunggelenksfrakturen
darstellt. Die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen wird nicht erhöht. Die PatientInnen sind gleichzeitig zufriedener und erzielen schneller Funktionsergebnisse, die für den Wiedereinstieg in die
Arbeit ausreichend sind. Des Weiteren zeigt sich, dass sich viele PatientInnen denen eine Teilbelastung vorgegeben wird, dennoch nicht an die Restriktionen halten. Somit könnte man – sehr vorsichtig
– schlussfolgern, dass selbst eine Woche länger nicht zubelasten, bereits negativ wirken könnte.
physio.de
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